Aktionsform
Video-Training
Eine besondere Form verhaltensbezogenen Lernens: Eine Übungssituation wird mit Video aufgezeichnet. Es folgt ein Feedback und eine Besprechung der Aufzeichnung am Bildschirm.
1. Einsatzmöglichkeiten
- um Verhalten in kommunikativen Situationen zu üben, aufzuzeichnen, wiederzugeben und auszuwerten (z.B. Verkaufs-, Vorstellungs-, Mitarbeiter-, Kritik-, Beratungsgespräch, Unterrichtssituationen) (Aktives Zuhören, Gesprächsführung)
- zur Kombination mit verschiedenen Arbeitsformen, v.a. Rollenspieltechniken (Rollenspiel)
- um motorisches Verhalten zu trainieren (Übung, Vormachen)
2. So wird’s gemacht
- Vorab: Führen Sie die Kamera ein (s. „Regeln“) und begründen Sie das Video-Feedback (Argumentationshilfe s. „Vorteile/Nachteile“).
- Klären Sie die Situation und die Rahmenbedingungen für die Szene (evtl. Visualisierung).
- Evtl. müssen Sie auf die Übung vorbereiten, z.B. gemeinsam Lernziele vereinbaren, inhaltliche Vorbereitung usw. (s. Regeln).
- Kurze Konzentration, dann lassen Sie die Übung durchführen und mit Video aufzeichnen.
- Zunächst Eigenfeedback des Übenden: „Wie geht es mir jetzt? Was ist mein Eindruck? Was ist mir besonders aufgefallen? Womit bin ich zufrieden?“ Dann Feedback durch die TN: Beobachtungen rückmelden. Achtung: keine Deutungen, keine Fehlersuche.
- Video-Wiedergabe (je nach Übung evtl. auch direkt nach Aufzeichnung).
- Auswertendes Gespräch: „Hat sich mein eigener Eindruck bestätigt? Was war anders? Was ist uns zusätzlich aufgefallen?“
- Der Übende fasst für sich noch einmal die wichtigsten Ergebnisse zusammen (persönliche Integration).
- In vielen Fällen ist es sinnvoll, einen zweiten Versuch durchzuführen, um dabei bestimmte Möglichkeiten gezielt auszuprobieren. Es folgt ein weiterer Durchlauf, evtl. verkürzt.
3. Didaktisch-methodische Hinweise
Video-Training ist ein mächtiges didaktisches Mittel, das seine möglichen positiven Wirkungen jedoch nur entfalten kann, wenn es durchdacht, behutsam und verantwortungsbewusst eingesetzt wird. Es ist entscheidend, ob es Ihnen gelingt, ein entspanntes und angstfreies Klima sowie gegenseitiges Vertrauen zu schaffen. Bewertende, gar abwertende oder ironische Bemerkungen sind absolut tabu! Ihr Umgang mit den TN ist Modell für den Umgang miteinander.
Regeln für den Einsatz der Kamera
- Sie sollten mit der Handhabung der Kamera vertraut sein, damit keine Pannen passieren. Falls TN die Kamera übernehmen, was übrigens günstig ist, gilt das auch für diese.
- Führen Sie die Kamera bereits vor der eigentlichen Übung ein (z.B. an der laufenden Kamera mit Monitor vorbeispazieren). Jeder sieht sich schon einmal im Bild und kann sich an die eigene Erscheinung gewöhnen, sodass es später leichter fällt, sich auf jene wesentlichen Aspekte zu konzentrieren, die geübt werden.
- Positionieren Sie die Kamera unauffällig und im Hintergrund in etwa gleichem Abstand zu allen Akteuren. Wählen Sie nach Möglichkeit dafür den gleichen Blickwinkel, wie ihn die Beobachter haben.
- Versichern Sie den TN, dass alle Aufzeichnungen nach dem Seminar gelöscht werden.
- „Starre“ Kameraführung: „platt abfilmen“, keine Zooms, keine Nahaufnahmen, nicht von oben oder unten filmen, möglichst keine Schwenks; Ausnahme: zur Aufnahme von Medien.
Regeln zum Üben
- Betonen Sie die Freiwilligkeit der Übungen. Lassen Sie die TN mitbestimmen bei Setting, Modus der Aufzeichnung und des Feedbacks. Erklären Sie, wie die Übung unproblematisch abgebrochen werden kann.
- Mit kleineren, einfacheren Übungen beginnen, zunächst ohne Video-Aufzeichnung. Sie beginnen erst mit den Aufzeichnungen, wenn die TN durch Erfolgserlebnisse Sicherheit gewonnen haben.
- Nicht jede Übung muss mit Video aufgezeichnet werden. Oft genügt Eigen- und Teilnehmerfeedback.
- Wenn alle TN einen vollständigen Zyklus durchlaufen, kann eine einzelne Übung sehr lange dauern und langweilig werden. Mögliche Abhilfe: Jede Übung wird von allen gemacht, aber nur bei wenigen aufgenommen. Bei jeder Übung kommen andere an die Reihe. Die Beobachtung durch TN kann gezielt erfolgen (z.B. mit Hilfe eines Fragebogens) oder unstrukturiert. Auch im zweiten Fall: Aufzeichnungen machen!
Regeln zur Auswertung
- Bei der Übung geht es nicht darum, perfektes „Soll-Verhalten“ zu zeigen, sondern neue Möglichkeiten für das eigene Handeln zu entwickeln. Hilfreiches Feedback kritisiert nicht und sucht nicht bohrend nach Fehlern. Zeigen Sie, was gut war! Maßstab: Hilft mein Feedback dem Übenden, einen neuen Versuch zu starten?
- Erwägen Sie, evtl. schriftliches Feedback geben zu lassen. Wenn nur mündlich: die wichtigsten Ergebnisse auf Flipchart festhalten.
- Feedback-Regeln: beschreibend, konkret, angemessen, brauchbar, klar und genau formuliert (Feedback).
- Nicht immer muss die ganze Aufzeichnung angesehen werden, oft genügen Ausschnitte. Manche Passagen dagegen lohnen es, sie zweimal zu betrachten.
- Die Auswertung sollte sich nie nur auf Video stützen. Selbsteinschätzung und das direkte Feedback sind wichtig. Beim Feedback durch TN müssen Sie darauf vorbereitet sein, für den Schutz des Übenden zu sorgen.
Variante
- Das Feedback wird zwar direkt im Plenum gegeben, die Video-Aufnahme aber sehen Sie unter vier Augen nur mit dem Übenden an. Die Gefahr des „Zerpflückens“ ist gebannt, der geschützte Raum bietet gute Grundlagen für wirkungsvolles Lernen. In diesem Rahmen können Sie ggf. auch kritische Aspekte deutlicher ansprechen als „vor Publikum“.
- Um diese Variante in Gruppen realisieren zu können, bedarf es eines entsprechend ausgeklügelten Plans. Während Sie mit einzelnen TN die Aufnahmen besprechen, können z.B. die anderen TN einen weiteren Versuch vorbereiten.
4. Vorteile/Chancen – Nachteile/Probleme
Vorteile/Chancen:
- Festhalten des flüchtigen Augenblicks
- TN können sich „von außen“ sehen und bekommen so auch Zugang zu ihrem „blinden Fleck“; Selbst- und Fremdeinschätzung wird ergänzt durch eine „objektive“ Abbildung der Situation und der handelnden Menschen
- der durch den Video-Einsatz erzeugte Stress hat auch Vorzüge: Die simulierte Situation wird “ernster“ und damit dem „Ernstfall“ ähnlicher
Nachteile/Probleme:
- TN fühlen sich durch Video beim Üben gehemmt
- Video bildet Wirklichkeit nicht nur ab, sondern konstruiert sie: Die Wahl des Bildausschnittes, die Ausblendung des räumlich-zeitlichen Umfeldes, manipulieren den Eindruck beim Betrachter.
Literaturhinweise: Kittelberger/Freisleben 1994; Mller/Seitz 1999; Toelstede/Gamber 1993
Dr. Balkes rät: „Traditionelles Verhaltenstraining dient häufig dem ’Antrainieren’ fest vorgegebener, vermeintlich optimaler oder ’richtiger’ Verhaltensweisen. Ich halte es für günstiger, sich von der Philosophie des ’Jedem das Seine’ leiten zu lassen. Das heißt: Das Video-Training dient zunächst dazu, dass jeder sich seiner individuellen Stärken und Schwächen bewusst werden kann. Dann geht es darum,
Verhaltensspielräume auszuloten, behutsam
Neues auszuprobieren (ohne Risiko, ohne Blamage) und einen persönlichen Stil zu entwickeln. Das ist menschenfreundlicher und langfristig wirkungsvoller als der gängige ’Schliff an der Oberfläche’ (
Gesprächsführung).“
Autor: Ulrich Müller